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SKIPPER IM STROM

Ich bin in den Untergrund
aufgestiegen und habe das
Internet abgeschafft (zu viele
Informationen). Eine Nacht
hinter offenen Fenstern, das
Zimmer wird zum Aquarium:
Wie klare Gewässer in üp-
pigen Bergen schwelgen die
Knospen im Regenrausch.
Im Schlaf seh ich Schiffe den
Fluss, im Halbtraum die Kids
ihre Dosen herunterfahren.

Dann zur Mittagszeit regt
sich der Tag: Sonnenschein
in meiner Jurte! Schaumperlen
schimmern in Bars. An diesem
Augenstrand gehe ich baden,
tausche, unhaltbar, die Schön-
heit ein gegen den diskreten
Charme der Ideologie. Sollen
doch andere die Alarmzeichen
deuten. Bis zur Auflösung
der letzten Rätsel gehen die
Scherben zu Bruch. Roller
stehen sprachlos, werden kalt,
die Akkus sind frisch geladen.

17. jun 2021


Anmerkung: Im Frühjahr erreichte mich eine E-Mail von Jannis Poptrandov mit der Nachricht: „Hab’ kein Internet. Hab’ ich abgeschafft. Waren einfach zu viele Informationen …“ Noch so einer, dachte ich und wunderte mich kaum darüber, dass nun auch die Kommunistische Partei Chinas in ihrem Programm von „klaren Gewässern“ und „üppigen Bergen“ fabuliert. Nachdem es tagelang geregnet hatte, legte ich das Abwärts-Album Ich seh die Schiffe den Fluss herunterfahren auf den Plattenteller, drehte am Lautstärkeregler, bis die Wolken abdampften und erinnerte mich an einen Kommentar von Michael Arenz, der einst die Zeitschrift Der Mongole wartet herausgab: „… you made my day today, Sonnenschein in meiner Jurte!“ Das war beinahe so surreal wie der von Anna Fedorova in einer fiktionalen Rezension adaptierte Buñuel-Filmtitel. Als es Abend wurde, ging ich entspannt, manchmal im Slalom, an den herumstehenden E-Gefährten vorüber, in Gedanken bei den Schlusszeilen von Friedrich Hölderlins Hälfte des Lebens.


last update: 17. jul 2023